Als Carolin heute vom Knacksen zurückkam, hatte sie eine überraschende Nachricht für mich: Ihr Chiropraktor hatte ihr einen Tipp für ein potenzielles Ausflugsziel gegeben. In unserer Stadt Funabashi würde im Ninomiya-Schrein ein japanisches Festival stattfinden. Diese sogenannten Matsuri gehen meistens von den lokalen Schreinen und Tempeln aus und sind vergleichbar mit unseren Volksfesten in Deutschland. Vor Ort gibt es dann Fressstände, Spielbuden und die Möglichkeit im lokalen Tempel Orakel oder Glücksbringer zu erstehen.
Aber unser persönliches Highlight würde etwas ganz anderes sein: Zu diesen Festen tragen viele Leute Sommer-Kimono, sogenannte Yukata. Und wie es der Zufall wollte, besaß Carolin genau zwei davon. Diese sind ähnlich geschnitten wie Kimono aber leichter und meist preiswerter, da aus Baumwolle. Man bekommt sie in allen Farben und Mustern; auch Männer und kleine Kinder tragen sie.
Nun stellt sich natürlich (für mich zumindest) die Frage, wie abartig es ist, sich als Ausländer in so einen Yukata zu schmeißen. Da ich schon lange aus meiner Hardcore-Japan-Fan-Phase raus bin und ein Land zwar gerne als Tourist bereise aber eben angepasst und unauffällig, musste ich schon etwas überlegen. Carolin versicherte mir zwar, dass es zumindest für einen Japaner völlig normal wäre, sich für ein Fest einen Yukata anzuziehen aber als blonder Ausländer ist es eben schon was anderes. Man sticht sofort heraus und das bereitete mir irgendwie Unbehagen.
Am Ende siegte dann natürlich meine weibliche Seite und der Wunsch, einmal so adrett auszusehen, wie ich es bisher nur aus japanischen Dokus oder Filmen kannte. Mit Carolins Hilfe wurde ich eingekleidet (gar nicht so einfach, alles richtig zu binden) und bekam auch einen schicken gelben Obi (eine Art Gürtel-Schärpe) mit Schleife am Rücken (quiek), Haarschmuck UND Geta (Holzsandalen). So top gestylt fühlte ich mich wirklich wie eine Prinzessin, so albern es auch klingt. Obwohl alles verdeckt ist (große Brüste schaden eher der angestrebten senkrechten Form) und das erotischste die freien Fußknöchel und Handgelenke sind, hat so eine Frau im Yukata doch eine große Anziehungskraft wie ich finde. Aber vielleicht spricht da auch nur doch wieder der Hardcore-Japan-Fan ;-).
Naja, ihr wollt ja sicher Bilder:
Mit Schleife am Rücken! In so einem Yukata muss man übrigens ziemlich kleine Schritte machen aber dieses Trippeln ist wohl gewollt. Im Idealfall schwebt man eher, als das man geht. In den Geta ist Schlurfen übrigens gestattet (so, wie das Schlürfen beim Nudelsuppen-Essen). Laufen macht lustige Geräusche aber irgendwie fühlt man sich unendlich schön und elegant, haha.
Im Großen und Ganzen waren wir schon “aufsehenerregend” aber so mitten in einem Vorort im Yukata ist das irgendwie verständlich. Allerdings war niemand verärgert, unhöflich oder hat mit dem Finger auf uns gezeigt. Ich bin immernoch unentschlossen, wie meine genauen Gefühle zu diesem “Verkleiden” sind aber es war ein wunderschönes Erlebnis, für das ich Carolin sehr dankbar bin.
Auf dem Fest gab es wie erwähnt viele Fressstände mit japanischen Eierkuchen, Oktopus-Bällchen und Hühnerspießen. Wir liefen noch etwas weiter, nämlich direkt zum Schrein und ich ließ mir von Carolin erklären, was wie funktioniert (und machte natürlich Photos). Auf dem Weg wurden wir noch von einem Reporter der Lokalzeitung photografiert. So kann’s gehen …
Am Anfang des Schrein-Geländes steht oft ein Wassertrog, in dem man sich die Hände waschen und den Mund ausspülen kann. In der Mitte der Anlage steht meist das Hauptgebäude mit einer Art Schelle. Man stellt sich davor, klatscht in die Hände und bittet die örtliche Gottheit um Beistand in wichtigen Lebensfragen. Die Schlange war aber sehr lang (und wir wunschlos glücklich) und so liefen wir zu einem anderen wichtigen Gebäude, nämlich dem Verkaufshäuschen, bei dem man gegen eine kleine “Spende” Glücksorakel und Talismane kaufen kann. Weiber und Horoskope.
Carolin in ihrem wuuunderschönen Yukata. In dieser Machart kosten sie etwa 60 Euro. Sie liest gerade ihr Orakel, das man für etwa 90 Cent dort kaufen kann. Sie hatte “großes Glück” als allgemeine Weissagung und zusätzlich stehen noch Hinweise zum Thema Liebe, Gesundheit und Arbeit auf dem Zettel. Wenn man sehr unzufrieden mit der Weissagung ist, kann man die Zettel an einer Schnur befestigen, um das Unglück abzuwehren (auf den Zetteln kann nämlich auch “Großes Pech” stehen).
Hier seht ihr ein paar der Orakel mit ungeliebten Weissagungen. Man kann sie auch mitnehmen. Es bringt allerdings Unglück, sie als Notizzettel zu benutzen, wie mich Carolin geschockt rügte, haha. Ich kaufte noch zwei Glücksbringer und schwatzend und Photos machend liefen wir noch etwas auf dem Schreingelände herum. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie spirituell Japan immernoch ist. Im Gegensatz zum christlichen Glauben, ist das “Göttliche” im Shintoismus ja in vielen Dingen, tot und lebendig. So kann eine “Gottheit” auch mal in einem tragbaren Schrein transportiert werden, also “geteilt” werden, ohne an Kraft zu verlieren.
Auch diese Installation ist für Wünsche zuständig! In diesem Fall schreibt man seinen Wunsch auf ein Holztäfelchen, auf dem meist das Symbol des aktuellen Jahres gedruckt ist (Chinesische Tierkreiszeichen). Für ein Jahr hängt es dann dort und entfaltet seine Wirkung. In Japan ist diese Art von “Aberglaube” übrigens nicht nur auf Frauen beschränkt (auch wenn die laut Carolin eher für Liebe beten, während sich Männer eher für beruflichen Erfolg an die Götter wenden).
Immer diese Ausländer. In solchen Schreinen fühlt man, wie stark der Glauben an “Geister” und die Beseeltheit aller möglichen Dingen in Japan noch ist. Je nach Schrein ist die Aura vor Ort beruhigend, ehrfurchtgebietend oder heimelig. Die Natur wird als etwas Göttliches betrachtet und jeder noch so unscheinbare Stein kann etwas dieser Göttlichkeit beinhalten. Andererseits habe ich nur in wenigen Ländern einen höheren Verbrauch an Plastiktüten und Umverpackungen erlebt. Wie so vieles im Leben hat auch in Japan alles zwei Seiten.
Hoffe, euch hat der Eintrag gefallen! Über Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen!
Dein Beitrag gefällt mir sehr gut! Weiter so :)